Wenn es für SATB nicht reicht, es aber auch nicht dreistimmig sein soll – bietet sich da vielleicht SMAB als Lösung an? Ein Erfahrungsbericht aus einem Gospelworkshop.
Gospelworkshop mit 100 TeilnehmerInnen
Vor einiger Zeit durfte ich mal wieder einen Gospelworkshop leiten. Gospel geht immer (noch). Es gab genau hundert Anmeldungen. Danach hatte ich dann mit dem ausrichtenden Chor eine Deckelung vereinbart. Bei mehr als hundert Teilnehmern wird’s unübersichtlich und äußerst anstrengend und irgendwo muss man die Grenze setzen. Da ich so etwas schon häufiger gemacht hatte, wusste ich, dass es sinnvoll sein würde, im Vorfeld nicht nur die Anzahl der Teilnehmer, sondern auch das Geschlecht, bzw. sogar das Stimmfach abzufragen. Was sich in diesem Fall auch wieder bewährt hat. Denn die 100 Teilnehmenden hatten in der Anmeldung Folgendes angegeben:
- 54 Sopran
- 2 Mezzosopran
- 32 Alt
- 4 Tenor
- 6 Bass
- 2 weiß nicht
Dies zeigte mir zwei Dinge:
1. Über die Hälfte der Teilnehmer behaupten von sich, Sopran zu singen.
2. Nur 10% der Teilnehmer sind Männer. Gut, es waren 11%, einer der „Weiß nicht’s“ war ein Mann…
Trend: Männerstimmen sind in der Unterzahl
Auch wenn diese Verteilung nicht repräsentativ ist, scheint sie mir im Trend zu liegen. Sehr wenige Männer (die dafür aber mit vollem Einsatz!) und etwa doppelt so viele Sopran- wie Altstimmen. Das finde ich auch oft, wenn ich „normale“ gemischte Chöre betrachte.
Nun war für meine Vorbereitung klar: SATB (für Einsteiger, die nicht so oft damit zu tun haben: das ist die Abkürzung für Sopran-Alt-Tenor-Bass – also den klassischen gemischten Chor) wird hier nicht funktionieren.
Können sich aufgrund der Lage auch wenige Tenöre durchaus Gehör verschaffen, aber vier Tenöre gegen den Rest der Welt hielt ich dann doch für eine Zumutung. Dazu kommen zwei Phänomene:
1. Entweder die wenigen Tenöre meinen ihre geringe Anzahl durch (noch) höhere Lautstärke kompensieren zu müssen (auch das kann ich auch schon in der normalen Probe beobachten, wenn zwei Tenöre mal fehlen), dann ist das Ergebnis auch nicht unbedingt schön – abgesehen von anschließend heiseren Tenören.
2. Oder aber es sind sowieso keine sicheren Sänger und sie gehen gnadenlos unter.
Es konnte also nur eine Männerstimme geben. Was ich von dreistimmigen Chorsätzen vor allem als „Verkleinerungslösung“ für Chöre grundsätzlich halte, hatte ich hier schon mal beschrieben. Nun war es bei meinem Workshop zum Glück so, dass die Männer eben nicht seit vielen Jahren Tenor singen und sich schon auf die Grundtönigkeit in der Männerstimme meiner Sätze einlassen konnten. Auch die Bässe kamen z.B. mit Septauflösungen, die ja eher eine typische Tenorerscheinung sind, erstaunlich gut klar.
Auf der Suche nach der richtigen Stimme
Nun ging die Umsetzerei weiter: Bei den Frauenstimmen galt die Devise „aus zwei mach drei“. Denn abgesehen davon, dass es Sopranistinnen gibt, die beim zweigestrichenen e schon etwas von „zu hoch“ murmeln, wollte ich gerne die fehlende Männerstimme ersetzen. Wir machten nach dem Einsingen ein paar Übungen für Tonhöhen und -tiefen, und die Sängerinnen sollten sich selbst einschätzen und sich in die passende Gruppe setzen (wer den Ton noch schafft, setzt sich bitte zum Alt …).
Ergebnis war, dass ich nun einen verhältnismäßig großen Mezzosopran hatte, aber ansonsten ganz gut besetzte Sopran- und Altstimmen. Das hatte ich im Vorfeld erahnt und in vielen Sätzen die Melodie eben im Mezzosopran verortet.
Aber noch mal grundsätzlich: Nur weil im Sopran (meistens) die Melodie klingt und ihr keine „Gegenstimme“ singen müsst, euch das also leichter fällt, seid ihr noch lange kein Sopran. Da gehört schon auch ein bisschen Höhe dazu … Und meiner Meinung singen wir im Chor sowieso nicht „gegeneinander“ – aber jetzt bewege ich mich zu weit vom Thema weg.
Diese zugegebenermaßen etwas brachiale Stimmverteilung reichte für den Wochenendworkshop. Im Chor zu Hause wird man sicherlich noch an der ein oder anderen Stelle nachträglich jemanden umsetzen. Entweder weil es in der Höhe (oder der Tiefe) doch nicht klappt oder aber jemand doch mehr kann, als er sich selbst zutraut.
Ich kam nach einer Eingewöhnung mit den SMAB (also Sopran-Mezzosopran-Alt-Bariton)-Sätzen ganz gut an und die Aufführung im Gottesdienst am Sonntagmorgen ist gut gelungen.
Der Kompromiss SMAB: es klingt halt anders
Nun ist das eben doch nicht der Klang eines gemischten Chores wie man ihn kennt. Es fehlen die satten Bässe in der Tiefe und natürlich auch die Strahlkraft der Tenöre. Übrigens: Wenn ein Mann die hohen Töne einer Tenorstimme singt, hat das viel mit Spannung und auch (körperlicher) Anstrengung zu tun. Wenn nun eine Frau dieselben Töne in der tiefen Lage singt, hat das eher mit Entspannung (des Körpers und des Stimmapparates) zu tun – zumindest vereinfacht gesagt. Also genau das Gegenteil.
Deshalb „funktionieren“ weibliche Tenöre (Tenoretten, Tenösen, Tenoras – ach, nennt sie, wie ihr wollt) meiner Meinung nach auch nicht.
Es ist und bleibt also ein Kompromiss. (Die schönste Freude für das Ohr ist sowieso der Männerchor *hüstel*–*räusper*)
Aber wenn ein Chor nun mal wenige Männer hat, dafür aber viele Frauenstimmen, kann dieser Kompromiss helfen, doch alle entsprechend zu fordern und einen möglichst ausgewogenen Klang zu erzeugen und dabei nicht eine Stimme unter den Tisch fallen zu lassen, wie bei den dreistimmigen Sachen.
Einziges Problem: Solche Sätze sind bisher Mangelware. (Manchmal verstecken die sich auch nur hinter Namen wie SMABar, SSAB, SAAB oder SSAM oder so). Trotzdem findet man sie selten und nicht alle sind auch gut gesetzt.
Sollte sich der Trend, den ich da zu beobachten glaube, aber tatsächlich fortsetzen, sollten die Verlage und ihre Arrangeure vielleicht reagieren – hier ist ein Markt in Sicht! Oder?
Wir sind
5 Sopran
3 Mezosopran
3 Alt
3 weibliche Tenorstimmen
1 Männlicher Tenor
4 Bariton
Unsere Tenordamen (ich bin eine davon) haben seit 1986 trainiert, so tief (auch in Kopfstimme) zu singen, ohne die Höhe zu verlieren.
Leider erfahren wir oft Kritik, da es von den fremden Chorleitern und Sängern missbilligt wird. Also werden wir es erst gar nicht versuchen, an Musikwettbewerben teilzunehmen – was schade ist – finde ich.
Bei vielen SATB-Chorsätzen aus der Zeit der Renaissance oder des Frühbarock sollte man auch mal das Folgende ausprobieren: Man lasse einfach die Tenorstimme von Sopransängerinnen (in Sopranlage, d.h. um eine Oktave nach oben versetzt) singen. Damit erhält man eine oft sehr schön klingende SSAB-Version.